Wer kennt das nicht: Rudi ruft ständig dazwischen, Fenja fällt permanent vom Stuhl, Tim tigert unaufgefordert durch die Klasse, Klaus klaut seinem Nachbarn die Stifte und Quendeline quasselt in einer Tour mit Quirin…
Ja – als Lehrer:in hätte man manchmal am liebsten Ohropax als Dauerlösung im Ohr. Aber das kann nicht der Ausweg sein.
Viel mehr gilt es, einen mit Unterrichtsstörungen gut umzugehen – einen pädagogisch sinnvollen Umgang zu finden. Und das ist eine herausfordernde Aufgabe.
Also, legen wir los!
Was sind Unterrichtsstörungen?
Gert Lohmann definiert Unterrichtsstörungen als „Ereignisse, die den Lehr-Lernprozess beeinträchtigen, unterbrechen oder unmöglich machen, indem sie die Voraussetzungen, unter denen Lehren und Lernen erst stattfinden kann, teilweise oder ganz außer Kraft setzen.“ (Lohmann: Mit Schülern klarkommen, 2003)
Unterrichtsstörungen betreffen also sowohl den Part der Lehrkraft als Lehrende als auch den Part der Schüler:innen als Lernende und erschweren bzw. verhindern manchmal sogar, dass dieses Miteinander gelingt.
Und das ist für alle Beteiligten anstrengend – für die Klasse, für die Lehrkraft und übrigens auch für die Kinder, die mit ihrem Verhalten zur Unterbrechung des Unterrichtsflusses beitragen.
Daher gilt es nun drei Faktoren in den Blick zu nehmen:
Ursachen von Unterrichtsstörungen
Wir sollen Ursachen von Unterrichtsstörungen aufzählen?
Mein lieber Scholli – da gibt es eine Menge. Hier nur ein paar Beispiele:
Chronische Überforderung: Ich verstehe dieses Mathe einfach nicht…
Chronische Unterforderung: Gib meinem Hirn etwas zu tun!!
Motivationslosigkeit: Warum soll ich denn lernen wie man Adjektive steigert?
Langeweile: Diese öden Schwungübungen schläfern mich ein…
Fehlende Bewegung: Ich sitze schon seit Ewigkeiten auf meinem Stuhl. Ich muss mal hüpfen!
Emotionale Unausgeglichenheit: Nach dem Streit in der Pause bin ich so wütend, dass ich platzen könnte!
Ungerechte Behandlung: Ich habe grad gar nicht gequatscht und trotzdem wurde WIEDER ICH ermahnt. Das ist ungerecht!
Testen der Grenzen: Was passiert eigentlich, wenn ich Pauls Schulranzen in den Papierkorb stopfe…?
Testen der Beziehung zur Lehrkraft: Magst du mich noch, auch wenn ich auf deinen Nerven spazieren gehe?
Und was wird aus dieser Aufzählung klar? Das „Problem“ liegt nicht per se in der Person des Schülers oder der Schülerin. Es ist immer eine Gemengelage, ein Zusammenspiel verschiedener Umstände – manche mehr und manche weniger von außen beeinflussbar.
Also, stellen wir uns die Frage:
Was tun bei Unterrichtsstörungen?
Selbst, wenn es einfacher wäre, die Schuld auf die sogenannten „Störenfriede“ zu schieben – darauf können wir uns als Lehrkräfte nicht berufen. Und Empörung (so befreiend sie auch zwischendurch sein mag) führt leider nicht zu Veränderung.
Die Gestaltung einer ruhigen Arbeitsatmosphäre und eines positiven Unterrichtsklimas gehört zu unserer Verantwortung. Dass das nicht immer leicht ist – keine Frage. Aber wir sind am Zug (am besten mit Unterstützung), um Lösungen zu finden und von vornherein den Nährboden für bestimmte Störungen gar nicht erst entstehen zu lassen.
Unterrichtsstörungen? – Prävention ist die Devise
1. Überforderung und Unterforderung vermeiden
Es gibt immer Schüler:innen, die sich mit ihren Lernvoraussetzungen weit entfernt vom hypothetischen „Mittelfeld“ bewegen. Kinder, die mehr Zeit für neue Inhalte brauchen, Anschauungsmaterial zur Visualisierung benötigen und individueller Zuwendung bedürfen. Das verlangt uns Lehrkräften viel ab – ganz klar. Aber sofern es möglich ist, hilft gute Differenzierung die Überforderung gar nicht erst entstehen zu lassen.
Das gleiche gilt auch für die Unterforderung: Kinder, die in der ersten Klasse Rechenaufgaben über den Tausenderraum hinaus lösen können, brauchen mehr als ein Zusatzblatt zu „Tauschaufgaben bis 20“. Auch hier ist eine sinnstiftende Differenzierung der Schlüssel für ausgeglichene Schüler:innen.
2. Langeweile im Unterricht verhindern
Manchmal ist uns Erwachsenen gar nicht bewusst, wie lang eine 20-minütige Arbeitsphase für so kleine Knirpse sein kann. Und wenn die Aufgaben in dieser Zeit dann auch noch nicht ganz so abwechslungsreich sind, dann fällt schon mal einer vom Stuhl…
Natürlich braucht es auch konzentrierte Arbeitsphasen! Aber wenn es gar so stupide wird, dann lass dir etwas einfallen, um eintönige Aufgaben mit etwas Pep zu versehen: Das Klassenmaskottchen im Unterricht ebenfalls einen Brief schreiben lassen, Übungsaufgaben in Mathe mit Rechenspielen verbinden, Schwungübungen mit der Lieblingsfarbe ausführen lassen, das Lösungswort des Lesetextes am Ende eines Kriechtunnels deponieren usw.
Solche Kleinigkeiten ändern häufig schon die Grundmotivation und eine hohe Motivation kann Unterrichtsstörungen bereits im Keim ersticken.
3. Bewegung im Unterricht ermöglichen
Viele Kinder haben einfach Hummeln im Hintern. Und das ist auch gut so. Im Spiel, in der Bewegung, beim Springen und Hüpfen passiert nämlich so einiges im Gehirn. Und wer von uns Erwachsenen kennt das nicht, dass er früher beim Gedichte-Auswendig-Lernen durchs Zimmer getigert ist?
Also, lasst uns kurze Bewegungsphasen im Unterricht schaffen:
Wechsel der Sozialformen (eh klar), Partnergespräche mal nicht am Platz, sondern aufm Tisch oder unterm Tisch (ich nenne das „Dachgespräch“ oder „Kellergespräch“), Gruppenarbeit am Boden, Stationentraining, Laufdiktate, Bewegungslieder, kurze Rückenmassage beim Sitznachbarn zwischendurch, eine regelmäßige „Schüttel-Minute“ oder was dir noch so einfällt! Lass die Puppen tanzen. :)
Bist du manchmal mit deiner Klasse am Verzweifeln, weil beim besten Willen keine ruhige Arbeitsatmosphäre aufkommen will? Deine Stimme ist heiser, deine Nerven liegen blank und deine Hände hast du dir schon wund geklatscht? Was wäre, wenn du mit ein paar praxisnahen Ideen und Impulsen einen Richtungswechsel in deiner Klasse bewirken könntest? Wenn aus dem trubeligen Chaos ein positives Klassenklima entsteht, in dem die Kinder konzentriert arbeiten können und wertschätzend miteinander umgehen? Mein Name ist Rebekka, ich bin Lehrerin, Autorin und Beraterin und unterstütze Grundschulreferendar:innen (und auch Lehrkräfte) dabei, die Herausforderungen des Lehrerdaseins zu meistern. Ich biete ein spezielles Beratungsangebot für den Umgang mit Unterrichtsstörungen an, damit du mit neuen Ideen und hilfreichen Strukturen ein angenehmes Klassenklima aufbauen kannst. |
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Abschreibtext bei Unterrichtsstörung in der Grundschule?
Aber was ist, wenn wir die Störung des Unterrichts präventiv nicht verhindern konnten und diese sich jetzt im Klassenzimmer breit macht? Welche Konsequenzen bei Unterrichtsstörungen sind adäquat?
Hilft dann nur noch der Abschreibtext: Schreibe 100x „Ich darf im Unterricht keine Faxen machen.“? Auf gar keinen Fall. Diese Bestrafung hat keinen sinnvollen Lerneffekt und führt eher zu einer Sehnenscheidenentzündung als zu einer Verhaltensänderung!
Welche pädagogisch sinnvollen Alternativen gibt es denn zum althergebrachten Abschreibtext?
Pädagogisch sinnvoller Umgang mit Unterrichtsstörungen
Bisher haben wir uns im Kern Beispiele angesehen, bei denen es um generelle Ideen zur Prävention von Unterrichtsstörungen ging. Und da haben wir als Lehrkräfte einen sehr großen Handlungsspielraum.
Was ist aber mit den Situationen, die Schüler:innen aus Konflikten mit Mitschülern, mit Lehrkräften oder mit sich selbst mitbringen? Gibt es da auch „Maßnahmen“ und „Konsequenzen“? Das sehen wir uns jetzt an:
1. Emotionaler Unausgeglichenheit begegnen
Der Klassiker am späten Vormittag: Die berühmt-berüchtigten Konflikte in der Pause. Auch wenn man vielleicht meint, sich Zeit zu sparen, weil man die Streitigkeiten einfach nicht thematisiert – die Konflikte bahnen sich dann anderweitig ihren Weg.
Sicherlich kann man nicht jeden Tag 25 Minuten nach der großen Pause das Kriseninterventionsteam tagen lassen, aber ungeklärte und schwelende Streitigkeiten müssen in irgendeiner Form aufgegriffen werden:
Entweder kurz am Anfang der Stunde (wenn es mehrere Beteiligte gab) oder z. B. in der Arbeitsphase (nur mit den zwei aufgebrachten Streithähnen) oder zu einem vereinbarten Zeitpunkt (z. B. im Anschluss an die Stunde). Aber die Schüler:innen müssen wissen, dass eine Lösung des Konflikts in Aussicht steht, sie dabei Unterstützung erhalten werden und sie im Frieden aus der Situation gehen können.
2. Gespräch statt Maßnahmenkatalog
Ja, es wäre "einfacher" auf Störungen mit Strafen, Konsequenzen und einem klar definierten Maßnahmenkatalog zu reagieren. Und – versteh mich nicht falsch – es braucht definitiv klare Kommunikation und auch durchaus angemessene Konsequenzen (z. B. ein Auszeitmodell, das dem Kind ermöglicht, sich zu beruhigen).
Aber am Anfang darf nicht sofort eine konsequente „Strafe“ stehen, sondern immer zuerst ein Gespräch. Allerdings nicht im Klassenverband auf der ganz großen Bühne mit 23 Zuhörer:innen. Nein, im Anschluss an den Unterricht oder in der Pause – in Ruhe und zu zweit.
Und da gilt es 1. zu fragen: „Was ist da vorhin passiert? Weißt du, warum du dich so verhalten hast? Wie hast du dich dabei gefühlt?"
Im 2. Schritt kommt dann hinzu, dass du als Lehrkraft Stellung beziehst: „Für mich sah die Situation so aus… Dein Verhalten bedeutet folgendes für die Klasse/für mich:… Das hat meine Grenzen überschritten…“
Und 3. nun zur Klärung: „Wie finden wir dafür eine Lösung? Welche Idee hast du? Was können wir konkret für eine ähnliche Situation vereinbaren?“
Und hier können beide Parteien Ideen und Vorschläge einbringen, sodass am Ende eine sinnvolle Vereinbarung daraus entsteht. Diese kann dann auch schriftlich festgehalten werden und wenn eine ähnliche Situation wieder auftritt, auf das vereinbarte Ziel verwiesen werden.
3. Ungerechte Behandlung eingestehen und reagieren
Auch wenn man meinen könnte, dass wir Lehrer:innen unfehlbar sind (was ja auch zu 99,99% der Fall ist), so passiert es hin und wieder, dass wir falsch liegen. Tatsache – wir machen Fehler.
Und so kann es passieren, dass wir einem Kind Unrecht tun, jemand Falschen zurechtweisen, uns vielleicht sogar mal nicht fair verhalten.
Und dann? Dann ist es an uns, dass wir uns hinterfragen lassen. Dass wir ein „Das ist ungerecht!!“ nicht einfach abtun, sondern innehalten, um unser Verhalten zu überprüfen. Ist uns vielleicht gerade etwas entgangen? Haben wir die Situation falsch eingeschätzt? Haben wir jemanden Unrecht getan?
Das kann passieren. Aber das muss nicht so stehenbleiben. Kinder haben ein großes Herz und sind jederzeit bereit, uns Lehrer:innen zu verzeihen, wenn wir sie um Entschuldigung bitten. Und so kommt eine Spannung ganz schnell wieder ins Reine.
4. Grenzen testen - Grenzen setzen
Jaha – nicht nur Lehrkräfte und Ärzte wollen testen!! Auch die Kinder sind großartig im Testen. Keine Lernzielkontrollen, Schulaufgaben oder Klassenarbeiten – Nein. Sie testen uns!
Was passiert eigentlich, wenn…
Bleibst du noch ruhig, obwohl…
Magst du mich noch, auch wenn…
Große, wichtige Fragen, die sich einige Kinder da stellen. Oft sind es Kinder, die schon viele komplizierte und schwierige Umstände miterlebt haben. Die ganz viel Sicherheit und Stabilität brauchen. Und die wissen wollen – mehrmals wissen wollen, ob wir ihnen das geben können.
Dafür fahren manche Kinder ordentlich auf. Die Palette reicht von verbalen Explosionen über Wutausbrüche bis hin zu körperlichen Angriffen. Und wenn es wirklich schlimm wird, dann braucht man als Lehrer:in unbedingt professionelle Unterstützung von außen. Das ist unbestritten! Also bitte nicht zögern, Schulsozialarbeiter oder ähnliche Anlaufstellen mit ins Boot zu holen!
Eine mögliche Strategie in so einem Fall ist das Vereinbaren eines Vertrags (wie hier genauer beschrieben). Lade das Kind, welches sich mit den Vorgaben schwer tut, in deine Kindersprechstunde ein und legt ein konkretes Ziel fest (Beispiel: "Wenn ich wütend werde, hole ich mir die Unterstützung einer Lehrkraft statt anderen Kindern weh zu tun."), haltet das Ziel schriftlich fest und überprüft dann in regelmäßigen Abständen im Gespräch, wie sich die Situation entwickelt hat.
Wie gehe ich mit Unterrichtsstörungen um?
Aber um noch einmal einen Blick aus der Vogelperspektive auf dieses Thema zu werfen:
Was steckt hinter diesem herausfordernden Verhalten?
Dahinter steckt die Frage „Hältst du mich aus?“
Es ist also Einstellungssache. Wie begegnen wir diesen Kindern? Was strahlen wir ihnen gegenüber aus? Wenn es uns Lehrer:innen gelingt, mit folgender Haltung testenden Kindern zu begegnen, ist schon viel gewonnen:
„Ich gebe dir nicht nach und ich gebe dich nicht auf.“
(Haim Omer: Konzept der Neuen Autorität)
Was für eine kraftvolle Aussage. Darin steckt, dass das unangebrachte Verhalten nicht gutgeheißen und eigene Überzeugungen dagegen gehalten werden. Gleichzeitig wird der Mensch gesehen und gehalten. Das Kind wird nicht losgelassen, bleibt akzeptiert und angenommen.
Dorthin zu kommen, ist ein Weg. Und der kann durchaus steinig sein. Aber in solchen Fällen, die uns auch noch daheim beschäftigen, kann Haim Omers Credo uns wie ein Mantra begleiten und uns die Kraft geben, dran zu bleiben.
Denn seien wir mal ehrlich – auch wir müssen immer wieder von unseren Mitmenschen ausgehalten werden. Weil wir unausstehliche Morgenmuffel sind, bei großem Hunger schrecklich „hangry“ werden oder unser Büro permanent wie bei Hempels unterm Sofa aussieht…
Und in solchen Situationen stellen wir unser Umfeld auch auf die Probe und fragen (um es mit „Wir sind Helden“ auszudrücken):
„Kannst du mein Monster halten? Kannst du? Kannst du?“
Und wie schön ist es dann, wenn unsere Mitmenschen es können.
Wie vieles im Leben ist der Umgang mit unterschiedlichen Persönlichkeitsstrukturen, die uns manchmal sehr herausfordern können, eine Frage der HALTUNG:
Aushalten. Festhalten. Halt geben. Durchhalten. Zusammenhalten.
So, nun hast du dir all diese Ideen und Impulse durchgelesen und vielleicht sogar das ein oder andere selbst schon probiert. Und trotzdem ist von "ruhiger Arbeitsatmosphäre" und "angenehmem Klassenklima" nichts zu spüren.
Du wünschst dir individuelle und ganz konkrete Impulse und Vorschläge zu deiner Situation, um Handwerkszeug für einen guten Umgang mit Unterrichtsstörungen an der Hand zu haben und damit gelassener vor deine Klasse treten zu können.
Wenn du Unterstützung für das Gestalten eines wertschätzenden Klassenklimas brauchst, dann sieh dir hier mein Beratungsangebot an:
Alles Gute für dich und deine Klasse und vor allem gute Nerven!
Deine Rebekka
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Super Artikel! Danke