Lernentwicklungsgespräche in der Grundschule – Worum geht es dabei im Kern? Es geht darum, Kinder an eine realistische Einschätzung ihrer eigenen Leistungsfähigkeit heranzuführen. Damit sie ihr Lernen, ihre Fortschritte und ihren Kompetenzerwerb zunehmend sicherer reflektieren und sich ihrer persönlichen Lernprozesse bewusst werden.
Wenn sie in diesem Prozess aktiv beteiligt werden – in Reflexionsphasen im Unterricht, durch das Führen eines Lerntagebuchs, im Lernentwicklungsgespräch – entwickeln die Schüler:innen eine positive Einstellung zum Lernen und ihr Vertrauen in ihr Können wird gestärkt.
Die Lernentwicklungsgespräche in der Grundschule halten als Alternative zum Zwischenzeugnis seit einigen Jahren Einzug in den verschiedenen Bundesländern (Bayern, Baden-Württemberg, Hamburg…). Teilweise werden sie auch Lehrer-Schüler-Eltern-Gespräch genannt, hier wird jedoch hauptsächlich der Begriff des Lernentwicklungsgesprächs (in der Abkürzung LEG) oder des Lerngesprächs verwendet.
Rund um die LEGs gibt es einige Fragen:
Wie bereite ich ein Lernentwicklungsgespräch vor?
Mit welchen Symbolen soll ich am besten arbeiten?
Wie ist gestalte ich den Ablauf?
Welche Materialien brauche ich?
Welche Zielvereinbarungen sind sinnvoll?
Diesen Fragen gehen wir nun auf den Grund.
LEG Grundschule – So bereite ich ein Lerngespräch vor
Vor dem eigentlichen Lerngespräch füllt jedes Kind als Vorbereitung einen Selbsteinschätzungsbogen (Ich-Bogen) aus, der sowohl die Bereiche Sozial- und Arbeitsverhalten als auch die Kompetenzen der einzelnen Fächer abdeckt. Je jünger die Schüler:innen sind, desto einfacher und kürzer sollte so ein Bogen gehalten werden.
Aber können die Kinder sich denn schon selbst treffend einschätzen?
Im besten Fall ist der Selbsteinschätzungsbogen nicht der erste Berührungspunkt mit dem Thema Selbstreflexion. Wenn im Unterricht immer wieder kurze Phasen des Nachdenkens über das eigene Lernen stattfinden, ist dieses Vorgehen den Kindern auch bekannt.
Also, beispielsweise durch wiederkehrende Reflexionsrunden am Ende einer Unterrichtsstunde („Das habe ich heute gelernt…“, „Das fiel mir leicht, weil…“, „Das habe ich noch nicht verstanden…“ usw.). Auch regelmäßige Einträge ins Lerntagebuch (Freie, selbst gestaltete Seiten zu einem bestimmten Thema z. B. „Das weiß ich über Nadelbäume“) ermöglichen den Kindern über ihr eigenes Lernen nachzudenken.
Neben dem Selbsteinschätzungsbogen der Kinder wird auch der Fremdeinschätzungsbogen (Du-Bogen) von der jeweiligen Lehrkraft im Vorfeld ausgefüllt, sodass eine Vergleichbarkeit entsteht. Beide Bögen werden als Gesprächsgrundlage zum Lernentwicklungsgespräch mitgebracht.
Lernentwicklungsgespräch Grundschule Symbole – Do´s and Dont´s
Häufig sind in dem Einschätzungsbogen vier mögliche Kategorien zur Einschätzung möglich. (Sozusagen die Spalten „besonders gut“ – „überwiegend“ – „teilweise“ – „noch zu wenig“)
Und da beginnt es auch schon schwierig zu werden… Nehmen wir als Schule für diese Kategorien Symbole? Und wenn ja, welche? Oder schreiben wir Kurzformulierungen aus, wie z. B. die oben genannten?
Jede Schule findet da ihre Lösung, aber ein paar Gedanken dazu:
Kurzformulierungen sind uns Lehrkräften vertraut und passen gut in unser „Bewertungsschema“. Allerdings sind das nicht unbedingt kindgerechte Formulierungen und daher häufig erklärungsbedürftig.
Als Symbole werden auch häufig die allzeit beliebten Smileys genommen. (Ich gestehe öffentlich – das habe ich auch schon so gemacht.) Problem bei Smileys als Bewertungsinstrument ist die Verknüpfung von Emotionen mit Leistungen.
Überspitzt gesagt: „Wenn du gut lesen kannst, freue ich mich. Wenn du noch nicht gut lesen kannst, bin ich traurig.“ Siehe trauriges Gesicht… Natürlich (!) wollen wir das so nicht als Lehrer:innen kommunizieren. Aber die Sprache der Smileys kommuniziert das. Also müssen andere Symbole her.
Mögliche Ideen (aber leider auch nicht immer ganz stimmig):
Besonders gut | Überwiegend | Teilweise | Noch zu wenig |
Sonne | Sonne + Wolke | Wolke | Baustelle |
Sternchen | Daumen nach oben | Daumen seitlich | Baustelle / Lupe |
Die schönste Idee, die mir über den Weg gelaufen ist, ist die Abbildung eines wachsenden Pflänzchens. Anfangs keimt ein erstes Blatt, dann entwickelt sich ein zweites dazu, schließlich ist schon das Pflänzchen zu erkennen und zu guter Letzt steht die Pflanze in ihrer vollen Pracht. Hier ist der Entwicklungsgedanke - ein Prozess, der immer Luft nach oben lässt- besonders schön.
Lernentwicklungsgespräch Ablauf – Die praktische Umsetzung
So, nun sitzen wir da mit zwei mehrseitigen Bögen mit Kreuzchen… Geht man jetzt stupide Zeile für Zeile durch, liest die einzelnen Zeilen vor und vergleicht dann die Einschätzungen?
Das wird spätestens nach der fünften Textzeile anstrengend und langweilig… Wir müssen den Kindern daher mit Anschauungsmaterial und möglichst viel aktiven Phasen begegnen.
Und so kann es gehen:
Zu Beginn eines LEGs liegen auf dem Tisch verschiedene Bildkarten, die die einzelnen Fächer oder allgemein Kompetenzen verdeutlichen sollen (ein Kind beim Lesen, ein Kind beim Rechnen, ein Kind beim Turnen usw.) In der Mitte liegt ein „Ich kann“-Plakat und um dieses Plakat herum legen dann die Schüler:innen die Bilder, von denen sie denken, dass diese zu ihren Kompetenzen gehören. So gelingt ein stärkenorientierter Einstieg – ein sogenannter „Könnens-Schatz“, der durch seine Visualisierung auch hängen bleibt.
Nun kann man sich im nächsten Schritt den einzelnen Bereichen des Bogens widmen. Um diesen Teil freier und aktiver zu gestalten, bekommen die Kinder eine Spielfigur mit ihrem Namen, die sie für einen Gesamtbereich (z. B. Arbeitsverhalten oder das Fach Mathematik als Ganzes) einer der vier Bewertungskategorien zuordnen können. Sie stellen dann beispielsweise ihre Spielfigur zu dem dritten Bildchen, weil ihnen in diesem Bereich schon viel gelingt, aber sie bei einzelnen Punkten für sich selbst noch Verbesserungspotenzial sehen.
Damit schätzen sie sich einmal grob ein, bevor man sich anschließend die beiden Bögen detaillierter ansieht und vergleicht. Dort kann man dann einzelne wichtige Kompetenzen oder auch besonders abweichende Einschätzungen aufgreifen und im Gespräch thematisieren.
Abschließend werden die Zielvereinbarungen gemeinsam getroffen und notiert. Wie das handlungsorientiert geschehen kann, wird etwas weiter unten noch beschrieben.
Den Abschluss bildet dann das „Erinnerungskärtchen“ (außen mit buntem Papier oder Muster und innen weiß). Als kleine Hausaufgabe sollen sich die Schüler:innen gemeinsam mit ihren Eltern daheim noch einmal die genannten Stärken und die Zielvereinbarungen notieren. Im Inneren des DIN-A6 großen Kärtchens steht links oben „Meine Stärken“ und rechts oben „Meine Ziele“.
Zuhause wird so noch einmal rekapituliert, was die Kinder aus dem Lerngespräch mitgenommen haben und im Anschluss kann dieses Kärtchen im Mäppchen mitgeführt werden. Als Erinnerung, dass sie auf einem guten Weg sind und an welchen Zielen sie die nächsten Wochen arbeiten wollen.
Zielvereinbarungen Lernentwicklungsgespräch – Step by step
Die Zielvereinbarungen in einem Lernentwicklungsgespräch sind von besonderer Bedeutung und an sie werden auch hohe Ansprüche gestellt: Sie sollen klar und verständlich formuliert, für die Kinder realistisch umsetzbar und im Verlauf der nächsten Zeit auch überprüfbar sein. Wie geht man da am besten vor?
Wir als Erwachsene kennen alle die Skala von 1 bis 10 als Einschätzungswerkzeug. Diese Skala kann man wunderbar mit einer Leiter verdeutlichen, die erklommen wird. (Die Leiter muss allerdings nicht unbedingt 10 Sprossen haben!) Eine Leiter führt Schritt für Schritt nach oben und verdeutlicht so auch den Prozess, den es für gelingendes Lernen braucht.
Wenn Lehrer:in und Schüler:in gemeinsam ein konkretes Ziel festgelegt haben (z. B. „Ich möchte flüssiger lesen lernen, indem ich…“) werden die beiden Enden der Leiter von der Lehrkraft definiert. Unten zu stehen bedeutet „Ich kann noch überhaupt nicht lesen.“ und die oberste Sprosse bedeutet „Ich kann bereits alles flüssig lesen.“
Diese beiden Pole werden bewusst so überspitzt formuliert, damit sich die Schüler:innen in dem Gesamtspektrum besser einordnen können. Sie stellen also ihre kleine Holzfigur auf eine Sprosse, begründen, warum sie sie dort hingestellt haben und überlegen, wo sie in den nächsten Wochen hinwollen.
Ist es realistisch bspw. bis zum Ende der zweiten Klasse alles flüssig lesen zu können? Natürlich nicht. Damit wird auch klar, dass die oberste Sprosse nicht gleich das nächste Ziel sein kann, sondern dass das Lernen eine Entwicklung ist. Wenn ein Kind dann zum Beispiel zwei Sprossen für sein Leseziel erklimmen möchte, steht dann die Frage im Raum „Was musst du dafür tun, um die nächsten zwei Sprossen zu erklimmen?“.
Jetzt können ganz praktische Überlegungen (jeden Tag 5 Minuten lesen oder zweimal pro Woche mit dem Opa üben etc.) beschlossen und notiert werden. Das Ziel und die Umsetzung müssen machbar sein und dürfen nicht zu Frustration führen. Das gilt es im Lernentwicklungsgespräch gemeinsam und mit Feingefühl festzulegen.
Nach einigen Wochen oder wenigen Monaten werden dann in einem kurzen, individuellen Gespräch (z. B. in der Morgenarbeitsphase) mit jedem Kind noch einmal die gesteckten Ziele überprüft: Ist der Fortschritt gelungen? Sind bestimmte Absprachen eingehalten worden? Gibt es neue Entwicklungen? Damit verpuffen diese Zielvereinbarungen auch nicht nach drei Tagen, sondern werden noch einmal im Unterrichtsalltag aufgegriffen.
Lernentwicklungsgespräch Grundschule Material – Was brauche ich alles?
Hier kommt noch einmal die Liste von Materialien, die man für ein aktiv gestaltetes und handlungsorientiertes Lernentwicklungsgespräch in der Grundschule (wie eben beschrieben) gebrauchen kann:
Bildkärtchen mit den einzelnen Fächern und Kompetenzbereichen (Beispiel: Kind, das liest – Kind, das rechnet – Kind, das turnt usw.)
Ein „Ich kann…“-Plakat (buntes DIN-A4 Blatt mit dem Schriftzug „Ich kann…“ in der Mitte
Eine etwas größere Spielfigur (z. B. aus Holz und evtl. mit Namen beschriftet) für die grobe Einschätzung, bevor man den Bogen detaillierter bespricht
Eine Holzleiter (oder eine Leiter als Abbildung ausgedruckt auf Papier)
Drei kleinere Spielfiguren, die die Ziele auf dieser Leiter verdeutlichen sollen
Kleine ca. DIN-A6 große Papierkärtchen (am besten außen mit einem schönen Motiv bedruckt und innen weiß) auf der Innenseite beschriftet mit den zwei Überschriften „Meine Stärken“ und „Meine Ziele“
Kleine Anekdote am Rande:
Ich habe am Ende eines LEGs ein Körbchen mit „Nimm2-Bonbons“ auf dem Tisch stehen gehabt. Die Kinder haben sich dann ein Bonbon nehmen dürfen und sollten vorlesen, was darauf steht…
„Nimm zwei…?“
„Ganz genau. Nur zu.“ :)
So hatte das Gespräch immer noch einen amüsanten Ausklang.
Lernentwicklungsgespräch Erfahrungen – Wertvoll, persönlich, hilfreich für alle Beteiligten
Aus persönlicher Erfahrung kann ich sagen, dass Lernentwicklungsgespräche unheimlich wertvoll sind. Aber wer bin „Ich“ eigentlich?
Mein Name ist Rebekka. Ich bin Lehrerin, Autorin und Beraterin für Grundschulreferendar:innen, um sie während des Refs in fachlicher, didaktischer und pädagogischer Hinsicht bei Bedarf zu unterstützen. Und dabei lasse ich gerne Ideen und Erfahrungen aus meiner eigenen Unterrichtspraxis einfließen. Klicke hier, um mehr über das Beratungsangebot zu erfahren:
Zurück zu den LEGs – Warum und für wen sind sie wertvoll?
Aus Sicht der Lehrkraft:
Als Lehrerin bekomme ich auf diese Art ein sehr gutes Bild von der Selbsteinschätzung meiner Schüler:innen. Ich erlebe sie über einen längeren Zeitraum (ohne andere Mitschüler) im persönlichen Gespräch und erfahre dort möglicherweise Dinge, die ich sonst im trubeligen Schulalltag gar nicht mitbekommen hätte.
Aus Sicht der Kinder:
Die Schüler:innen machen sich bewusst Gedanken über ihr eigenes Lernen, bekommen persönlich Rückmeldung zu ihren Stärken und Lernchancen und definieren gemeinsam mit der Lehrkraft verbindliche Ziele. Das hat einen viel höheren Aufforderungscharakter und ist um einiges motivierender als ein schriftliches Zwischenzeugnis.
Aus Sicht der Eltern:
Die Eltern als Begleiter ihres Kindes nehmen die Rolle der Zuschauenden ein. Sie können ihr Kind mit seiner Selbsteinschätzung, aber auch den Umgang von Lehrer:in und Kind beobachten, bekommen Einblick in das schulische Setting und sind bei der Formulierung der Zielvereinbarungen dabei. So sind auch die Eltern aktiv in diesen Prozess eingebunden, ohne dass sie während des Gesprächs selbst aktiv werden.
Am Ende wollen wir mit einem Lerngespräch doch erreichen, dass wir den Prozess in den Blick nehmen. Das lebenslange Lernen gilt für Kinder ebenso wie für Erwachsene. Wir alle dürfen unser tägliches Dazulernen als eine Entwicklung begreifen, die sich verändert und die uns verändert. Was für ein Schatz also, wenn sich unsere Kinder bereits so früh als kompetente Lerner erleben dürfen.
In diesem Sinne - viel Freude beim Lernentwicklungsgespräch!
Deine Rebekka
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